Die Szene könnte kaum konträrer sein. An den Stränden locken weißer Sand und laue Wellen. Aus den Garküchen weht verführerisch der Duft der berühmten Thaikost herüber. Gleich daneben hängen Rucksacktouristen vor einer Bar ab und zelebrieren den Müßiggang. Einen Katzensprung entfernt schwitzt Yvonne Höllriegl aus St. Pölten aus allen Poren. Immer wieder tritt sie gegen den Handschuh ihres Trainers. Noch einmal, noch einmal. Sechs Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Yvonne ist Muay Thai-Boxerin. Die 25 Jährige aus Österreich lebt auf Koh Samui ihren Traum. Sie hat dafür alle Brücken in der Heimat abgebrochen.
Muay Thai boomt auch bei Touristen
Es sind immer mehr junge Männer und Frauen, die ihren Urlaub so anders gestalten. Die drei Muay Thai-Trainingscenter in Lamai boomen. Anderswo stöhnen die Unternehmer über die schlimmste Nebensaison seit Jahren. Nicht hier. Im "W-MC World Muay Thai Center", im Trainingscamp "Pinyo" und auch in der Thaiboxschule "Jun" ist von Flaute nichts zu spüren. Früh morgens und am späten Nachmittag sieht man die Schüler in Rudeln auf den Straßen ihre Kreise ziehen. Vor jedem Boxtraining joggen sie brav hinter ihren Thaitrainern her.
Yvonne Höllriegl ist nicht die einzige Frau in dieser harten Sportart. Vor allem aus England, Australien und Frankreich kommen die Muay-Thai-Rekruten, etwa zehn Prozent davon sind weiblich. Die Österreicherin mit den Tätowierungen auf beiden Armen ist dennoch eine Exotin unter den Amazonen. Sie lebt seit einem Jahr fest hier und trainiert täglich mit den Besten der Zunft. Ein Privatleben kennt sie nicht. Morgens um 7 Uhr folgt die erste zweistündige Einheit, von 16 bis 20 Uhr die vierstündige Hauptplackerei.
Leo (33) und Bow (32) beide ehemalige Preiskämpfer - nehmen sie abwechselnd in die Mangel. Auch wenn im Camp am Ende des Tages alle eine Familie sind, während der Übungen gehts erbarmungslos zur Sache. Als Yvonne im September 2010 zunächst in Koh Phangan ins Muya Thai- Leben einstieg, merkte sie schnell, dass hier alles anders ist. Zwei Jahre Thaiboxen in Niederösterreich waren im Vergleich zur Realität in Thailand ein Kindergeburtstag.
In einem Jahr in die Elite aufgestiegen
"Kopfschutz, Schienbeinschoner, keine Ellbogen beim Nahkampf, all das kannst du hier vergessen", sagt Yvonne. Bis auf Kopfstöße und Tiefschläge sei beim traditionellen Muay Thai alles erlaubt. Den ersten Kampf im November verlor sie auf Koh Phangan gegen eine 80 Kilogramm-Gegnerin. Nervosität, mangelnde Erfahrung, zu viele Skrupel. Vieles kam zusammen. Fast hatte Yvonne das Gefühl, als wollten sie ihre Trainer brachial in die Realität dieses Sports stoßen.
Unzählige Trainingseinheiten und 16 Kämpfe später sieht ihre Bilanz im September 2011 anders aus. Zehn Mal stieg die Österreicherin als Siegerin aus dem Ring, vier Gegnerinnen gingen k.o. Ein veilchenblaues Auge blieb vom letzten Fight gegen eine der Topboxerinnen auf Koh Samui. "Es war ein Rückkampf, und dieses Mal habe ich nach Punkten gewonnen!" Yvonne erboxte sich damit endgültig die Achtung ihrer Trainer und eine Fahrkarte zu einem internationalen Muay Thai-Turnier in Kanada. Visum, Flugticket und Hotel alles bezahlt der Veranstalter.
Dieser Veranstalter ist die World Muay Thai Association (WMA), der Dachverband, in dem alle Aktiven weltweit erfasst sind. Für Yvonne Höllriegl rückt nach schweißtreibenden Monaten ein Traum in greifbare Nähe: "Wenn ich mir auf internationaler Bühne einen Namen mache, kann das der Start für eine Profikarriere werden." Die WMA orderte schon mal Fotos von ihr. Yvonne hat nun ein Gesicht und einen Namen.
Rückkehr in Heimat nicht mehr vorstellbar
4000 Baht Preisgeld für einen Kampf reichte zuletzt gerade zum Bestreiten der Existenz. "Manchmal habe ich mich gefragt, wieso tue ich mir all das an", erinnert sich die 1,65 Meter große und 59 Kilogramm schwere Sportlerin. Am Ende habe immer das Adrenalin die Oberhand gewonnen und neue Motivation in sie gepumpt.
Eigentlich ist Yvonne Höllriegl gelernte Tourismusfachfrau. Eine Rückkehr in das alte Leben kann sie sich nicht mehr vorstellen. Wer mit ihr über die Insel fährt, kann verstehen, warum. Fast an jeder Ecke winkt einer, ruft ihren Namen, zwinkert ihr zu. Es sind verwegene Gesellen, die in dieser Sportart ihre Erfüllung finden: die Muay Thai-Boxer, die bekannten Tätowierer auf der Insel und Mitglieder örtlicher Motorradclubs. Das Mädchen aus Austria hat sich deren Anerkennung sprichwörtlich erkämpft.
Sam Gruber
Die Geschichte dieser Kampfsportart
Muay Thai zählt zu den ältes-ten Kampfsportarten der Welt. Es wird vermutet, dass das Thaiboxen bis ins Jahr 1560 zurückgeht, als der siamesische König Naresuan in burmesischer Gefangenschaft in einem Zweikampf seine Freiheit erkämpfte. Bestätigt ist, dass die thailändischen Soldaten das Muay Thai zum waffenlosen Kampf entwickelten. Dieser Nahkampf, bei dem Beine, Knie, Ellenbogen und Fäuste eingesetzt werden, wird auch heute noch in der Armee als Nahkampfverteidigung gelehrt. Das Thaiboxen ist fest in die Geschichte Thailands integriert und bis heute der beliebteste Zuschauersport.
Interessenten können sich bei diesen drei namhaften Trainingscamps in Lamai, Koh Samui, informieren:
www.pinyomuaythai.com/kohsamui.html
www.junmuaythai.com, www.lamaimuaythaicamp.com